Die Zeitenwende: Von Bremsern und Bürokraten

Wieder weg vom Zwei-Prozent-Ziel

Der größte Teil der Zeitenwende liegt noch vor uns, wie Verteidigungsminister Boris Pistorius nach seiner Ernennung sagte. Das stimmt, stellt Aylin Matlé in ihrem jüngsten Beitrag für das Sonderheft zur Zeitenwende fest, das die Zeitschrift „Internationale Politik“ herausgegeben hat. Denn betrachte man die Abläufe nach der Verkündigung des Sondervermögens für die deutschen Streitkräfte, werde deutlich, wie langsam die Bundesrepublik hier vorankomme.

„Deutschland beabsichtigt nicht, den regulären Verteidigungshaushalt dauerhaft zu erhöhen, um seiner langjährigen Bündnisverpflichtung nachzukommen“, stellt Matlé fest.  Die Mängel bei der Finanzierung hätten bisher eine nachhaltige Kursänderung verhindert. Obwohl Boris Pistorius kürzlich eine Erhöhung der Militärausgaben um weitere zehn Milliarden Euro gefordert hat, sind die Militärausgaben in der mittelfristigen Finanzplanung eingefroren. Selbst mit dem Geld aus den 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen werde Deutschland das 2-Prozent-Ziel, die Vorgabe der NATO, erst in den Jahren 2024 und 2025 erreichen. Laut einer Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft werde sich der Verteidigungshaushalt danach von der 2-Prozent-Marke wegbewegen.

Das Versprechen des Bundeskanzlers, mindestens 2-Prozent des Bruttoinlandsprodukts künftig für den Wehretat aufzuwenden, klinge „angesichts der deutschen Finanzplanung hohl“.  Dies stehe „sinnbildlich für Prozesse, Institutionen und Handelnde, die noch nicht ausreichend vom Geist der Zeitenwende durchdrungen sind“, so die Autorin.

Den Anforderungen an die Zeitenwende gerecht werden

Sie kritisiert die umständlichen Prüfschleifen bei der Beschaffung, Teil der Strukturen des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr. Die Aufträge würden dort schleppend vergeben, ein Grund dafür sei die unzureichende personelle Aufstellung: Etwa 1300 Dienstposten seien unbesetzt, 11 Prozent der gesamten Belegschaft.

Was ist zu tun, damit Deutschland sich nicht mehr in Klein-Klein verliert und den Anforderungen an die Zeitenwende gerecht wird? Die Debatte um die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates rückt in den Fokus. Matlé hält es für wichtig, dass ein solches Organ „zu allen strategisch relevanten Themen, ressortübergreifend Abstimmungen und Entscheidungen herbeiführen kann“. Dieser Sicherheitsrat müsse aber an höchster politischer Stelle, etwa am Kanzleramt angesiedelt sein. So könne „das Entstehen einer strategischen Mentalität angestoßen und kultiviert werden.“

Die Zeitenwende ist laut Aylin Matlé erst der Anfang: „Ein routinierter Umgang mit Themen der Sicherheit und Verteidigung ist unerlässlich. Einen zaghaften ersten Schritt hat das Land – gezwungenermaßen – seit dem 24. Februar 2022 getan.“ Fragen der militärischen Wehrhaftigkeit dominierten seither stärker als zuvor.

Der fehlende Mut zur politischen Kommunikation

„Die Zeitenwende hat den Blick vieler Menschen auf unsere Industrie geändert“, stellt Stefan Stenzel, Geschäftsführer des Technologieunternehmens VINCORION aus Wedel fest. „Das Sicherheitsbedürfnis vieler Bürger hat sich erhöht.“ Doch dies müsse auch finanziell untermauert werden: „Von den 100 Milliarden Sondervermögen sind bislang nur 50 Millionen, also 0,05 Prozent, als Aufträge vergeben worden.“ Zudem müssten von den 100 Milliarden Euro Zinsen bezahlt werden, und die Inflation werde weitere Milliarden aufzehren.

Erst in den kommenden fünf Jahren sei damit zu rechnen, dass 40 Milliarden Euro von den 100 Milliarden des Sondervermögens in der deutschen Industrie ankommen. „Wir werden den Bundeshaushalt um 20 bis 30 Milliarden Euro pro Jahr aufstocken müssen, um die nötigen Investitionen zu hinterlegen“, betont Stefan Stenzel. Aus seiner Sicht fehle es dafür aber noch „am Mut zur politischen Kommunikation“.

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Aus diesem Grund befürwortet der Geschäftsführer von VINCORION die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates. Mit einem „strategischen Mindset“ könne ein solches Gremium sinnvoll mit Leben erfüllt werden. Man könne den bestehenden Bundessicherheitsrat aufwerten oder ein neues Gremium einrichten – dann aber möglichst weit oben bei der Bundesregierung angesiedelt, wie Stefan Stenzel hervorhebt. Denn im Kanzleramt werde ja de facto über viele Themen der Verteidigungspolitik entschieden. Stefan Stenzel betont: „Es muss eine dauerhafte Sicherheitsstrategie für Deutschland festgelegt werden – die mit einem entsprechenden Budget ausgestattet wird.“

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Florian Hanauer
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Über VINCORION

VINCORION ist ein Technologieunternehmen mit Fokus auf innovativen Energiesystemen in sicherheitskritischen Anwendungsbereichen, darunter Generatoren, elektrische Motoren und Antriebe, Aggregate, Leistungselektronik und hybride Energiesysteme. Als Partner der Industrien Luftfahrt, Sicherheit und Verteidigung sowie Bahn entwickelt und fertigt VINCORION aus einem intensiven Dialog heraus maßgeschneiderte Lösungen für die spezifischen Anforderungen seiner Kunden. Ein leistungsfähiger Kundendienst bietet Betreuung und Service für die Nutzung eigener und dritter Produkte während des gesamten Produktlebenszyklus. Mit rund 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an Standorten in Deutschland und den USA erwirtschaftete VINCORION 2021 rund 145 Mio. Euro Umsatz.

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