Innovation nach Maß
Weg vom German Perfektionismus
Im Engineer-to-Engineer-Dialog entstehen die Mechatronik Lösungen der Zukunft – vorangetrieben vom Innovationsmanagement im Unternehmen. Das gilt auch für die Digitalisierung im Bereich Maintenance, Repair und Overhaul. Der deutsche Ingenieurs-Perfektionismus steht da aber ab und an im Weg. Wir haben mit Dr. Stefan Stenzel zu Innovationstreibern in der Zuliefererbranche gesprochen.
Hinweis: Dieses Interview wurde im Originaltext im DUB UNTERNEHMER-Magazin am 27. April 2021 veröffentlicht.
Militär, zivile Luftfahrt, Bahnmarkt: Als Mechatronikhersteller ist VINCORION in sehr klassischen Industrien unterwegs – welchen Stellenwert haben Innovationen in Ihrem Haus?
Stefan Stenzel: Wir sind zwar Teil des Jenoptik-Konzerns, führen mit der eigenständigen Marke VINCORION aber weitestgehend ein Eigenleben als Anbieter mechatronischer Lösungen. In unseren Branchen gelten extrem lange Produktlebenszyklen. Das heißt für uns ein ständiger Spagat zwischen 30 Jahren Wartung und Obsoleszenz in der Vergangenheit und 30 Jahren vorausschauenden Lösungen in der Zukunft. Das ist eine Herausforderung, die ich immer als sehr reizvoll empfunden habe.
Woher nehmen Sie die Impulse für den vorausdenkenden Part Ihres Geschäfts?
Stefan Stenzel: Der wesentliche Innovationstreiber ist für uns der Dialog mit den Kunden. Wir stellen keine Produkte von der Stange her, sondern entwickeln maßgeschneiderte Lösungen für sehr konkrete Probleme. Der Engineer-to-Engineer-Dialog, den wir dazu mit unseren Kunden pflegen, ist der Kern unserer Arbeit. Unser Vorteil ist, dass wir den Ingenieurs-Triathlon beherrschen: Wir sind Experten, wenn es darum geht, Elektronik, Mechanik und Werkstoffe zusammenzubringen. Auf diese Weise entstehen Produkte, die es so vorher noch nicht gegeben hat – und damit auch unsere Alleinstellung ausmachen. Das ist dann zwar nicht das neue iPhone, bringt dem Kunden aber einen echten Mehrwert. Innovation muss ja nicht immer zwingend „fancy“ sein.
Der Innovationsdrang kommt also eher von außen ins Unternehmen…
Stefan Stenzel: Natürlich nicht ausschließlich. Wir haben auch einen institutionalisierten Innovationsprozess, der neue Ideen fördert und vorantreibt. Das ist sehr wichtig, auch für unsere Unternehmenskultur. Und es hat schon zu sehr erfolgreichen Produktinnovationen geführt. Aber wir müssen
die Vermarktbarkeit im Blick behalten – da gibt es auch spannende Ideen, die wir nicht weiterverfolgen können. Auch das ist eine wichtige unternehmerische Entscheidung.
Die deutsche Industrie steht für ingenieursgetriebenes Denken und Verbesserung der Dinge bis ins letzte Detail. Verbaut die Kleinteiligkeit den Weg zu großen Disruptionen?
Stefan Stenzel: Die Einteilung in „disruptiv“ und „nicht disruptiv“ halte ich nicht für hilfreich – das weiß man ja eh immer erst hinterher. Für mich gelten vielmehr die Kategorien „erfüllt die Kundenbedürfnisse“ und „erfüllt nicht die Kundenbedürfnisse“. Und das gilt im globalen Wettbewerb. Ich denke vor allem deshalb, dass wir hin und wieder von den letzten 20 Prozent des deutschen Optimierungswillens abrücken müssen. Es gibt auch Lösungen, die nicht bis ins letzte Detail perfekt sind – aber eben auch nur die Hälfte kosten. Wir in Deutschland müssen dem Kunden zuhören können, ihn fragen, was er will und nicht nur versuchen, unsere eigenen Ideale durchzusetzen.
Was bedeutet für Sie im Unternehmen digitalen Transformation?
Stefan Stenzel: Die Digitalisierung hat aus meiner Sicht im industriellen Kontext zwei Dimensionen: Die Produkt-Digitalisierung und die Prozess-Digitalisierung. Dabei geht es zum Beispiel um die Vernetzung von Maschinen in der Automotive-Sparte, die von uns selbst entwickelt werden. Es geht für uns im Jenoptik Konzern aber auch um den Erfahrungsaustausch, die Verbreitung von „Lessons Learned“. Wenn festgestellt wird, dass etwas in einer Sparte gut geklappt hat, wird natürlich geprüft, ob das übertragbar ist auf eine andere.
Stichwort Industrie 4.0 und Internet of Things – wie läuft die Zusammenarbeit mit Ihren Kunden auf der Datenebene?
Stefan Stenzel: Offen gestanden ist das in vielen Bereichen noch sehr eingeschränkt der Fall. Unser Ziel ist aber ganz klar mehr Vernetzung. Große Potenziale sehen wir im Bereich der Predictive Maintenance. Wenn vorgesehen ist, dass unsere Produkte 30 Jahre halten, dann gibt es eben Punkte, an denen so ein Produkt gewartet werden muss.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Stellen Sie sich eine elektrische Rettungswinde vor, die an einem Hubschrauber der Bergrettung befestigt ist. Darin steckt eine Menge Elektronik, aber auch eine Menge Mechanik mit einem langen Seil dran. Hier gibt es natürlich turnusmäßige Wartungszyklen. Und diese Wartungen sind extrem teuer. Stellen Sie sich nun vor, Sie haben einen Rettungshubschrauber in München. Und die Vorrichtung funktioniert plötzlich nicht mehr. Dann muss sie erst abmontiert und zu uns geschickt werden. Und solange kann der Hubschrauber keine Rettungsaktionen mehr durchführen. Das darf so selten wie möglich geschehen und dieser Zeitraum kann minimiert werden – durch Predictive Maintenance.
Wie sieht das im Detail aus?
Während eine Rettungswinde vor zehn Jahren noch so intelligent wie ein Gartenschlauch auf dem Wickler war, ist sie heute ein hoch kompliziertes Produkt mit einer ganzen Menge Software und Sensorik. Die misst nicht nur die Nutzung oder den Abrieb der Bremsen, sondern im Prinzip alle Aggregatzustände wie die Feuchte, den Wind, die Sonne und eben auch die Erwärmung-Zustände. Ein Algorithmus verbindet die Messwerte dann miteinander. Das Ergebnis ist der Vorschlag eines für den Kunden optimalen Wartungszeitpunkts. Überhaupt macht das Thema Software einen immer größeren Anteil unserer Produkte aus – sodass beispielsweise die Winden in einem speziellen Einsatzfeld die optimale Leistung abrufen können. Das ist eine unserer Stärken. Und deshalb sind auch rund 50 Prozent unserer Ingenieure bereits im Bereich der Elektronik und Software unterwegs.